Gute Arbeit - Soziales Europa

Gute Arbeit - Soziales Europa

Halle

1.Mai 2014

 

Kolleginnen und Kollegen,

Wir demonstrieren am 1. Mai,  um die Würde der arbeitenden Menschen zu verteidigen.

Überall wo sie angegriffen und mit Füßen getreten wird.

In Deutschland, in Europa und weltweit.

 „Gute Arbeit - Soziales Europa" heißt, dass die Menschen wieder im Mittelpunkt der Politik stehen müssen - in Deutschland und in Europa

 

In Deutschland sind wir auf dem Weg zu einer Neuen Ordnung ein paar wichtige Schritte vorangekommen.

Der flächendeckende gesetzliche  Mindestlohn wird Realität.

Er wird die Situation von Millionen Beschäftigten verbessern.

Die Tarifautonomie wird gestärkt.

Die Allgemeinverbindlicherklärung wird erleichtert,

Das Arbeitnehmerentsendegesetzes wird auf alle Branchen ausgedehnt.

Bei der Rente mit 63 stimmt die Richtung der neuen Bundesregierung.

Gerechtigkeit zwischen den Generationen beginnt bei gerechten Löhnen für die Arbeitenden!

Die beste Sicherung der Altersrente ist guter Lohn für gute Arbeit.

Die Tarifrunden 2014 sollen den Beschäftigten ihren gerechten Anteil an dem, was sie erarbeitet haben, sichern sollen.

Besonders in Ostdeutschland hat die Politik jahrelang Tarifflucht und Niedriglohn unterstützt.

Damit muss jetzt endlich Schluss sein!

 

Kolleginnen und Kollegen.

Um uns herum, vor allem im Süden Europas nehmen Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit. 

Uns geht nicht nur die Einheit der Ukraine etwas  an.

Uns geht es auch an, wenn die Krisenländer im Süden Europas  das Arbeitsrecht schleifen, die Löhne senken, den Sozialstaat beschneiden und die Gewerkschaften schwächen.

Diese Angriffe auf Löhne und Tarifautonomie stoßen auf den entschiedenen Widerstand aller Gewerkschaften in ganz Europa.

 

Wir stehen zum Europa der Freizügigkeit - nicht nur freies  Reisen, sondern auch freie Wahl des Arbeitsplatzes über die nationalen Grenzen hinweg.

Heute - am 1. Mai - blicken wir auf 10 Jahre Osterweiterung der EU zurück.

Die Horrorszenarien, die an die Wand gemalt wurden, um die Freizügigkeit zu diskreditieren, sind nicht Realität geworden.

Die überwältigende Mehrheit der Zuwanderer findet einen Arbeitsplatz, zahlt Steuern und Sozialversicherung.

Migrantinnen und Migranten sind seit jeher unsere Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben.

Wer hier lebt und arbeitet, ist uns willkommen.

Viele von denen, die grenzüberschreitend einen Ausweg aus Arbeitslosigkeit und Armut suchen, werden häufig zu Opfern krimineller Profiteure. 

Sie werden von Schleppern, Vermittlern, Vermietern und Betrieben, in den ausgepresst und systematisch um ihre Rechte gebracht.

Man muss es so deutlich sagen. Das ist organisierte Kriminalität mit Profiten wie im Drogenhandel.

Wir sagen Nein zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland, Europa und weltweit!

 

Kollegeninnen und Kollegen.

Am 25. Mai wählen wir bei den Europawahlen ein neues Europäisches Parlament.

Da will mancher nicht wählen gehen.

Da glaubt mancher immer noch, das Europa-Parlament sei nicht wichtig nur eine Quasselbude

Wer so denkt und redet hat nichts verstanden und nichts gelernt:

Was hätten unsere Väter, und Großväter und Urgroßväter dafür gegeben, wenn es zu ihrer Zeit ein Europäisches Parlament gegeben hätte, in dem frei gewählte Abgeordnete aus 28 europäischen Völkern zusammenkommen, um miteinander zu reden, zu streiten und wieder zu reden, statt die Jugend der Völker in die Schützengräben des ersten und zweiten Weltkriegs zu treiben.

 

Als ich anfing im Europäischen Parlament vor 35 Jahren hatte es eine Menge zu sagen, aber fast nichts zu entscheiden.

Als ich vor fünf  Jahren aufhörte, war das Parlament zum mitentscheidenden Gesetzgeber der Union geworden und es kann den Präsidenten der EU-Kommission wählen.

Die Partei, die  aus der Wahl am 25. Mai im Europäischen Parlament als stärkste hervorgeht, entscheidet,  wer die Leitlinien der nächsten EU-Kommission bestimmt.

 

Es  geht bei dieser Wahl aber nicht nur um eine Person - so wichtig sie ist.

Es geht um Richtungsentscheidungen  von enormer Grundsätzlichkeit:

Wollen wir, dass die Finanzmärkte weiterhin die Politik vor sich hertreiben lassen?

Wir wollen, dass die Politik den Märkten künftig wieder Regeln und Grenzen setzt!

Zulange hat eine Hundertschaft von schnöseligen Finanzdealern in London, New York oder Singapur mit dem Schicksal von 500 Millionen Europäern Monopoly gespielt.

Wir wollen, dass demokratisch gewählte  Regierungen und das Europäische Parlament  über Europas  Zukunft entscheiden.

 

Wir retten Banken weil die nationalen Bankaufsichten allesamt versagt haben oder wurden umgangen wurden - weil aus Finanzkonstrukteuren Finanzjongleure und Finanzbetrüger werden konnten.

Denen muss europaweit durch eine europäische Bankenaufsicht das Handwerk gelegt werden.

Europa ist  zwei Jahrzehnte lang den Trompetenstößen der neoliberalen Deregulierer gefolgt.

Wir müssen die  demokratische Politik in Europa endlich wieder an ihre Regelungsverpflichtungen erinnern.

 

Die Europäische Union das Vertrauen vieler Menschen verloren -  bei uns in Deutschland und überall in Europa.

Um das festzustellen, braucht man keine Meinungsumfragen.

Da genügt das Gespräch in der Familie und mit Freunden und Nachbarn.

Europa muss das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen durch eine Politik der Klarheit, Verlässlichkeit und Gerechtigkeit.

 

Wir fordern, dass Europa sich nicht länger in Kleinigkeiten verliert, sondern Antworten auf die großen Fragen der Zukunft gibt.

Aber das heißt auch, dass wir selbst aufhören müssen Europa mit Kleinigkeiten klein zu reden.

Die EU ist gerade dabei, die schwerste Krise seit dem Beginn der Einigung Europas zu überwinden.

Die Spekulanten gegen den Euro haben verloren.

Und verloren haben die  Hunderte  von Wirtschaftsprofessoren mit ihrem Katastrophen-Geschwätz  über Inflation und Haftung und den Untergang Deutschlands 

Die EU  ist nicht auseinandergefallen, sondern zusammen geblieben.

Europa hat sich in der Krise in einem Maße als solidarisch erwiesen, wie es vor zehn Jahren noch völlig undenkbar war.

Die Hilfspakete, die Rettungsschirme bauen doch auf nichts anderes als auf die Bereitschaft zur Solidarität in ganz Europa.

Ja, wir hatten Bedenken, und  nicht alle sind ausgeräumt.

Und, ja, es stimmt: Die Schuldnerländer haben ihre Lage zu einem bedeutenden Teil selbst herbeigeführt durch Leichtfertigkeit und Reformversagen.

Mancher - auch hier auf dem Platz - hat sich schon mal über griechische Papierpensionäre, Frühestverrentung, Kürzestarbeitszeiten usw. lustig gemacht oder geärgert. 

 

Aber Griechenland war kein verschwenderischer  Sozialstaat, sondern ein verkommenes politisches System.

Wechselnde Regierungen haben den Reichen über Jahrzehnte hinweg ungeheure Verschwendung nicht nur erlaubt, sie haben sie sogar dazu eingeladen.

Als deutscher Gewerkschafter will ich, dass Griechenland gezwungen wird, das zu ändern.

Und zugleich will ich, dass Europa den Kranken, den Arbeitslosen, den Verelendenden in Griechenland und anderswo hilft.

Aber ich will nicht, dass die Hilfe in die alten Kassen der Yachtbesitzer und korrupten Staatsfunktionäre zu fließt, die mit europäischem (und deutschem) Geld dann in London (oder Berlin, oder Zürich) in teure Grundstücke und Luxuswohnungen investiert wird.

Wir sind solidarisch mit dem portugiesischen Fischer mit dem griechischen Kafenion-Wirt, mit den spanischen Arbeitslosen

Wir sind nicht solidarisch mit Steuerflüchtigen und Steuerhinterziehern - egal ob sie in Athen,  am Tegernsee oder  in Konzernzentralen sitzen.

Sie nehmen den Staatskassen in der EU jedes Jahr fast eine Billion Euro an Steuern weg. 

Die Enteignung des Staates durch die Reichen muss ein Ende haben - überall in Europa.

 

Mit Sparen und Reformen allein kommen Griechenland und die anderen Schuldnerstaaten nicht aus der Krise.

Europa muss dabei helfen, die griechische, die portugiesische, die spanische Wirtschaft auf den Pfad des Wachstums zurückzuführen.

Die krisenbedingte Arbeitslosigkeit trifft  vor allem Jugendliche.

Wir dürfen es nicht  zulassen, dass 25 oder 30 Prozent eines Jahrgangs ohne Arbeit bleiben.

Wenn wir den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit verlieren, verlieren wir alle eine ganze Generation.

Und mit ihr verlieren wir die Zukunft Europas.

Damit die Jugendlichen in Europa wieder eine Zukunft haben, brauchen wir einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine schnelle, verbindliche Finanzierung von Jugendbeschäftigungsmaßnahmen.

Deshalb fordern wir einen Neustart in Investitionen und wirtschaftliches Wachstum.-

einen Marshallplan für Europa".

Wir sind bereit, dafür  auch Lasten zu tragen und Opfer zu bringen. 

Das ist nicht immer leicht zu verstehen und manchmal schwer zu akzeptieren.

Das geeinte Europa verlangt heute  finanzielle Opfer von den Bürgern.

Die  Nationalstaaten Europas verlangten vor hundert Jahren von ihren Bürgern Blutopfer.

 

Wir wollen, dass Europa mehr ist als  nur eine Wirtschafts- und Währungsunion.

Wir wollen das soziale Europa. 

Das soziale Europa, das wir wollen, europäisiert und  vereinheitlicht nicht die großen Solidarsysteme wie die Rentenversicherung, die Krankenversicherung oder  die Arbeitslosenversicherung.

Die  bleiben national.

Unser soziales Europa setzt auf Hilfe zur Selbsthilfe für die Zurückbleibenden.

Es verfügt über wirksame Kontrollen, ob die Hilfen in die richtigen Kassen fließen.

Es schafft soziale Mindestnormen.

Unser soziales Europa baut auf Realwirtschaft statt auf Finanzwirtschaft.

 

Wir sind nicht blind.

Wir sind nicht naiv.

Auch das soziale Europa lebt vom Wettbewerb.

Nicht nur die Großen wie Siemens oder die Auto-Konzerne und ihre Zulieferer - auch die zehntausende kleiner und mittlerer Unternehmen in  Deutschland  halten da hervorragend mit.

Das soziale Europa ist nicht dazu da, Wettbewerb abzuregeln. 

Es ist dazu da, dem Wettbewerb faire Regeln zu geben und die Einhaltung dieser Regeln zu kontrollieren.

 

Wir wissen, dass die Europäische Union unvollkommen ist.

Aber wir verteidigen sie gegen alle, die aus ihr eine bloße Freihandelszone machen wollen - ohne jede politische Verantwortung für den Schutz der Umwelt, für den Verbraucherschutz, für die soziale Sicherheit.

Wenn sich Europa zur Freihandelszone zurückentwickelt,  marschiert es  über den Neoliberalismus zum Neonationalismus.

Die Populisten, Nationalisten und Extremisten, wollen nicht eine bessere, eine sozialere  Europäische Union - sie wollen überhaupt keine.

Faschistisches und nationalistisches Denken und Handeln, Rassismus und Intoleranz stoßen auf unseren entschlossenen Widerstand.   

Wer in der Zeit der Krise die Völker Europas auseinandertreibt, statt sie zusammenzuhalten, gehört nicht ins Europäische Parlament.

 

Das neonationalistische Europa erleben wir gerade im Konflikt um die Ukraine.

Was Putins Russland betreibt, ist die Rückkehr in ein Europa der Einflusssphären und Hegemonien.

Das macht die Krise um die Ukraine so gefährlich.

Sie ist schwerer und düsterer als die Staatsschuldenkrise.

Wir wollen und wir werden für die Erhaltung der Einheit der Ukraine keinen Krieg führen.

Aber es kommt sehr darauf an, dass Europa nicht wie ein Hühnerhaufen auseinanderstiebt, wenn der Habicht am Himmel kreist.

Und da bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin nicht mehr Westerwelle, sondern Frank-Walter Steinmeier zur Seite hat.

 

Wir wissen, dass die Europäische Union Fehler hat und dass sie Fehler macht. 

Aber statt daran nur europaskeptisch herumzunörgeln, wollen wir sie verbessern.

Statt hämisch vom bürokratischen Monster oder vom zentralistischen Moloch in Brüssel zu schwadronieren, erinnern wir uns an das, was wir an einem geeinten Europa haben und was wir ihm verdanken:

Einen Frieden und eine Versöhnung zwischen den Völkern Europas, wie sie unsere Väter und Großväter und Urgroßväter nie gekannt haben.

Eine Wirtschaftskraft und einen Wohlstand, von denen Millionen und Abermillionen Arme  und Hungernde  in der Welt nur träumen können.

Rechte  und Freiheiten, um die Millionen Mitmenschen in der Welt Leib und Leben riskieren müssen.

 

Europa ist eine Realität -  nicht immer und nicht überall eine schöne.

Europa ist nicht was wir träumen.

Europa ist, was wir tun.

Seit hundert Jahren wissen die Gewerkschafter in Deutschland und in Europa was uns voranbringt: Kämpfen und wählen.

Deshalb klappen wir am 25. Mai den Laptop zu, stehen vom Sofa auf und gehen wählen.